Sabine Berr

Sabine Berr: Gartenprojekt – Das grüne Volk

16. März – 1. Juli 2018

Kunstmuseum Heidenheim

 

Künstlerische Feldforschung

Als Sabine Berr 2015 ihr Atelier von München in ihr kleines, auf dem Land gelegenes Wohnhaus verlegt, beschließt sie, den knapp 500 qm großen Garten ihres Hauses mit malerischen Mitteln zu erkunden. Im Unterschied zu impressionistischen Künstlern wie Monet oder Liebermann, die ihre eigenen, aufwändig angelegten Gärten mit all ihren visuellen Reizen aus der Perspektive des stolzen Gartenbesitzers malten,  nähert sich Sabine Berr ihrem halb verwilderten Garten jedoch mit der Haltung einer Forscherin. D.h. sie richtet ihren Blick nicht auf den Garten als malerisches Motiv, sondern auf dessen einzelne Pflanzen.

Die malerische Erfassung der einzelnen Pflanzen geht dabei mit deren botanischer Bestimmung Hand in Hand. Mit Hilfe von Botanikbüchern identifiziert Sabine Berr insgesamt 98 verschiedene Pflanzenarten in ihrem Garten, die zwei große Gruppen bilden: 50 Arten, die eingepflanzt wurden; und 48 Arten, die sich selbst angesiedelt haben. Dementsprechend schreibt sie die Namen der Pflanzenarten auf Kartontafeln mit weißem Grund oder schwarzem Grund.

Damit verweist die Künstlerin auf den spezifischen Umgang des Menschen mit der pflanzlichen Natur. Denn seit der Mensch Landwirtschaft betreibt, muss er zwischen nützlichen und schädlichen Pflanzen unterscheiden und die wilden Konkurrenten seiner Nutzpflanzen bekämpfen. Seither ist die Unkrautvernichtung ein wesentlicher Bestandteil der landwirtschaftlichen Produktion, die heute durch ertragreiche Pflanzenzüchtungen sowie intensiven Maschinen- und Chemieeinsatz weitestgehend optimiert ist. Dadurch zeigt heute auch die Kehrseite dieser Produktionsweise: Außer Hybridpflanzen wächst in Monokulturen buchstäblich nichts mehr; alles andere pflanzliche und tierische Leben ist von den Feldern verschwunden. Durch weiter schrumpfende Flächen unkultivierter Natur wirkt sich dies unmittelbar auf die Biodiversität aus, die weltweit unaufhörlich zurückgeht. Zwar sind davon Privatgärten nicht unmittelbar betroffen, leider tragen auch sie aber nichts zur Erhaltung der Biodiversität bei, da auch in ihnen Unkraut bekämpft wird.

Neben diesen grundlegenden Einsichten in das Verhältnis des Menschen zur Natur lernt die Künstlerin bei ihrer malerischen Feldforschung viel über die Pflanzen selbst. Beim Malen bemerkt sie, dass einzelne Pflanzen selten genauso wie in Botanikbüchern aussehen. Häufig findet sie unterentwickelte Pflänzchen neben monströs verformten Exemplaren oder hybriden Formen. Kurz: Sie entdeckt die Welt der Pflanzen nicht als mustergültige Typologie, sondern als Vielfalt, die im lebendigen Nebeneinander verschiedenartige Mischformen ausbildet. Dabei fasziniert die Malerin selbstverständlich der besondere visuelle Reiz dieser kleinen Pflanzenwelt: Sie entdeckt verschiedene Bildmotive wie beispielsweise einen dürren Zweig mit einem verwelkten Blatt, eine einzelne Blüte oder eine Gruppe von Pflanzenstängeln. Nach und nach hält sie so zahlreiche unterschiedliche Motive fest, die sie schließlich auf faszinierende Weise präsentiert.

In ihren Ausstellungen bringt sie auf den Wänden ein Regal aus schmalen Dachlatten an, auf das sie die einzelnen Bildtafeln nach Motiven geordnet stellt. Dabei folgt sie jedoch nicht der strengen Taxonomie eines Biologiebuchs, das die Pflanzen nach ihren Verwandtschaftsgrad aufreiht, sondern ausschließlich ästhetisch-visuellen Erwägungen. Beispielsweise stellt sie eine Gruppe von Zweigen mit zart-grünen, fast transparent wirkenden Blättern neben eine senkrecht angeordnete Reihe von monolithisch-geschlossenen Blütenformen in Schwarz usw.

Durch dieses kontrastreiche Nebeneinander verschiedener Bild- und Pflanzenmotive macht Sabine Berr sowohl den erstaunlichen Reichtum der Pflanzen in ihrem Garten sichtbar als auch dessen malerisch-visuelles Potential. Uns Betrachtern eröffnet die Künstlerin damit einen überraschenden Blick auf die ganz banale und alltägliche Pflanzenwelt unserer Wiesen und Gärten, die wir theoretisch zwar kennen, deren großer ästhetischer und biologischer Reichtum uns jedoch erst in ihren Installationen so überwältigend vor Augen tritt.

 

René Hirner

 

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